Guntram von Schenck, Juni 2012, aktualisiert Oktober 2012

 
Rettung des Euro - finanzielles Versailles für Deutschland?



Vorbemerkung: Politiker, die die Eurozone in ihrer jetzigen Form um jeden Preis erhalten wollen, beschwören gern das antike Griechenland und Rom als Wiege Europas. Diesem großen Erbe sei Europa verpflichtet, dafür seien Opfer gerechtfertigt. Dann wäre es allerdings naheliegend, auch einige Grundsätze der alten Römer zu beherzigen und zu befolgen. Denn diese klugen Politiker haben ein Imperium errichtet, das Jahrhunderte überdauert hat. Dazu gehört, dass die längerfristigen Folgen politischen Handelns überdacht und bei politischen Entscheidungen berücksichtigt werden müssen.


... respice finem
(... bedenke die Folgen)


Daran fehlt es. Die kurzatmigen Maßnahmen zur Rettung des Euro lassen ein Überdenken möglicher, langfristiger Folgen vermissen. Dabei sind die Warnschilder nicht zu übersehen.

Es ist eine Binsenweisheit, aber deswegen nicht falsch: Wenn die europäische Einigung ein dauerhaft erfolgreiches Projekt bleiben soll, müssen die Völker "zustimmen" und "mitgehen". Ein als "alternativlos" dargestelltes Zusammenschrauben mit aller Gewalt ist das glatte Gegenteil. Mit dem Hebel der Eurokrise wird genau das versucht. Schon jetzt begehren die sog. Süd- oder Schuldnerländer gegen eine Politik auf, die sie als Entmündigung empfinden und die extreme Belastungen mit sich bringt. Die Proteste in Griechenland, Spanien, Portugal und der wachsende Unmut in Italien deuten alle in die gleiche Richtung. Im Norden, in Deutschland und in den anderen sog. Geberländern wächst der Widerstand gegen die finanziellen Belastungen, die im Namen der Solidarität und der Rettung des Euro abgefordert werden. So etwas bleibt unvergessen, das hinterläßt bei Geber- und Nehmerländern schwere Ressentiments, die die künftige europapolitische Diskussion vergiften werden.

Haben denn die deutschen und europäischen Politiker vergessen, woran Jugoslawien zerbrochen ist? Der Norden, Slowenien und Kroatien, wollten für den Süden nicht mehr zahlen. Die Folge war ein Bürgerkrieg. In Belgien steht die Existenz des Gesamtstaates auf dem Spiel, weil das "reiche" Flandern nicht mehr für den "armen" Süden, Wallonien, finanziell bluten will. Die Bestrebungen in Schottland, sich aus dem Vereinigten Königreich zu lösen, haben ihren Grund nicht zuletzt in dem Anspruch, die Erlöse der Erölförderung vor seinen Küsten allein zu nutzen. Und ganz aktuell: In Spanien streben das reichere Katalonien und das Baskenland einen eigenen Staat an, weil sie den armen Süden nicht mehr durchfüttern wollen. In Deutschland kämpft u. a. Bayern für eine Neuordnung des umstrittenen Länderfinanzausgleichs...

Im Ruhrgebiet von heute ist Deutschlands Zukunft in einer europäischen Transferunion zu besichtigen. Jahrzehntelang war der Ruhrpott das industrielle Herz Deutschlands, das entscheidend zum Wiederaufbau des Landes nach dem Zweiten Weltkrieg beigetragen hat. Ohne die gewaltigen Transferleistungen von der Ruhr wäre die deutsche Wirtschaft in den großen Flächenländern, insbesondere Bayern, nicht so schnell aufgeblüht. Heute ist das Ruhrgebiet in weiten Teilen eine Industriebrache, viele Städte sind überschuldet oder pleite, Schulen verfallen, Straßen sind marode, die aktive Bevölkerung wandert ab. Das Ruhrgebiet gehört heute zu den am meisten von Armut bedrohten deutschen Großräumen. Über Jahrzehnte geleistete, enorme solidarische Transferleistungen haben die Ruhr der nötigen Mittel beraubt, um rechtzeitig und effizient den wirtschaftlichen Strukturwandel zu finanzieren, die (blinde) Solidarität hat das Ruhrgebiet buchstäblich ausbluten lassen.

Dauerhafte Finanztransfers gewaltiger Summen über ein Jahrzehnt und mehr sind Sprengstoff für die Zukunft. Die Solidarität hat ihre Grenzen. Wird sie überfordert, sind Konflikte programmiert. Das geschieht nicht heute und nicht morgen, aber es geschieht. Das Wort vom "EU-Völkergefängnis" könnte und wird die Runde machen. Wer dieses Warnschild mißachtet, legt die Axt an die Wurzeln des europäischen Einigungswerks. Da helfen auch große Worte und das Pathos von der Wertegemeinschaft Europas nichts mehr. Weder der Appell an das spanische, britische, belgische oder jugoslawische Nationalgefühl konnten oder können Auflösungserscheinungen verhindern, wenn bedeutende ökonomische und finanzielle Interessen dem entgegenstehen.

Was müssen wir also aus deutscher Sicht im längerfristigen Interesse Europas beachten? Von welchen Überlegungen müssen wir uns leiten lassen?


Versailles


Die Eurokrise weckt in Deutschland ungute Erinnerungen. Die Situation erinnert an das Ende des Ersten Weltkriegs, als in Versailles 1919 Deutschland Bedingungen auferlegt wurden, die darin gipfelten: „Die Deutschen sollen zahlen!“. Heute ist Druck auf internationaler Ebene hoch und wächst weiter, die deutsche Politik zur Übernahme größerer Risiken zu bewegen, um den Euro zu retten. Deutschland soll der Vergemeinschaftung der Schulden der Eurostaaten, einer Transfer- und einer Bankenunion sowie der Ausgabe von Eurobonds zustimmen und für alles die Haftung übernehmen. Deutschland ist in der Abwehr dieser Forderungen nahezu isoliert.

Sicherlich steckt in der deutschen Abwehrhaltung ein Reflex auf die Erfahrungen von Versailles. Massive Ressentiments, eine Hyperinflation mit der damit einhergehenden Verarmung breiter Bevölkerungsschichten und Radikalisierungen, die letztlich zur Machtergreifung Hitlers beigetragen haben, waren die Folge von Versailles. In Deutschland wird nun befürchtet, dass die Eurokrise benutzt wird, um auf das deutsche Volksvermögen zuzugreifen - über erzwungene deutsche Kredite, die voraussichtlich nie zurückgezahlt werden, und erzwungene deutsche Haftungen, für die noch unsere Kinder und Enkel gerade stehen müssten. Was an Vermögen danach noch da ist, würde spätestens in der Inflation untergehen.

Zur deutschen Erinnerung gehört auch, dass die große Weltwirtschaftskrise von 1929 ff. ebenso wie die Finanzkrise von 2007 ff. von der angelsächsischen Finanzwelt ausgelöst wurden. Das Vertrauen in deren Weitsicht, Verantwortungsbewusstsein und Lösungsvorschläge ist nicht nur in Deutschland minimal. Die Wall-Street und die City von London folgen nur ihren kurzfristigen Interessen, verstehen es aber, ihre Regierungen für ihre Interessen zu mobilisieren und ihre Vorschläge und Forderungen weltweit über die Medien und interessengeleitete „Wissenschaft“ zu orchestrieren und als „objektive“ Notwendigkeiten darzustellen.

Die Risiken und Vorteile einer Euro-Rettung sind deshalb aus deutscher Sicht abzuwägen. Neben den finanziellen müssen vor allem die politischen Aspekte mit einbezogen werden. Gerade die politischen Aspekte haben – wiederum in Erinnerung an die Katastrophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts - ein besonderes Gewicht. Verantwortungsvolle Politik besteht nicht nur aus Ökonomie.


Griechenland


Mit Griechenland hat alles begonnen; seither hält es die Deutschen, die Europäer und die Welt in Atem. Was kostet uns ökonomisch ein Austritt/Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone, was der Verbleib des Landes in der Währungsunion? Welche politischen Fragen ergeben sich daraus?

Die deutschen Kosten für einen Austritt/Ausschluss Griechenlands und einen Zusammenbruch der Eurozone sind umstritten. Sie reichen in Gestalt von Verpflichtungen über Kredite, Bürgschaften, Garantien etc. (Stand: Juni 2012) von rund 310 Milliarden Euro (Bundesfinanzministerium) über 426 Milliarden (Bundesrechnungshof) bis zu 643 Milliarden (Ifo-Chef Hans Werner Sinn). Ihnen stehen die Kosten gegenüber, die wir bei einem Verbleib Griechenlands in der Eurozone zu tragen hätten. Die Zahlen lassen sich nur schätzen, ein Anhaltspunkt ergibt sich aus den bisherigen Hilfszahlungen für Griechenland. Seit dem 1. Hilfspaket vom Mai 2010 hat Griechenland einschließlich des 2. Hilfspakets vom Februar 2012 240 Milliarden Euro erhalten, das sind 120 Milliarden pro Jahr. Der deutsche Anteil (27%) liegt bei rund 35 Milliarden Euro. Die jährlichen deutschen Kosten für einen Verbleib Griechenlands in der Währungsunion dürften in etwa dieser Summe entsprechen. Da eine Wirtschaft wie die griechische nicht binnen weniger Jahre reformiert werden kann, ist ein Ende dieser Transferzahlungen nicht abzusehen; eine Daueralimentierung bleibt wahrscheinlich.

Was ergibt sich daraus politisch? Selbst wenn man die Zahlen jeweils herauf- oder herunterrechnet, zeigt der Vergleich der Verlustzahlen für Deutschland, die einmalig bei einer Griechenlandpleite und möglichen Folgekosten mit den jährlichen Transferzahlungen an Griechenland, die über einen nicht genau zu bestimmenden Zeitraum anfallen würden, warum die deutschen neben den europäischen Politiker einen Verbleib Griechenlands in der Eurozone bevorzugen. Die Politik rechnet nicht in langen Zeiträumen: ob die jährlichen Transferzahlungen über 10 – 20 Jahren die heute sofort fälligen Verluste übersteigen werden – was wahrscheinlich ist – interessiert wenig. Dass es bequem ist, die Probleme in die Zukunft abzuwälzen, wissen wir auch aus deutscher Erfahrung. Es wird interessant zu beobachten, ob unsere Politiker dieses Mal der bequemen Lösung der Verschiebung der Probleme in die Zukunft widerstehen können? Wie kaum anders zu erwarten, konnten sie der Versuchung nicht widerstehen.

Die griechischen Regierungen und Politiker jedenfalls wissen, dass sie den Euro behalten können, wenn es für sie vorteilhaft ist. Sie haben ein unübersehbares Erpressungspotential, das ihnen hilft, Auflagen der Kreditgeber zu missachten und sich vor schwierigen Reformen zu drücken. Sie wissen, dass sie damit durchkommen, wenn nicht ein ganz gravierendes Missgeschick passiert. Sie nutzen das aus und haben praktisch kaum eine der hoch und heilig versprochenen Reformen durchgeführt. Daran wird sich voraussichtlich auf absehbare Zeit wenig ändern.

Den Fall Griechenland kann man unschwer als Chiffre für die Schwierigkeiten der gesamten Eurozone lesen: Teuer ist es, Griechenland zu retten, viel teuer aber wäre kurzfristig ein Ende der griechischen Euro-Mitgliedschaft. Extrem teuer wäre die Rettung der Euro-Währungsunion insbesondere für die Deutschen, am Schlimmsten, ja geradezu katastrophal wäre der Euro-Zusammenbruch - für Deutschland, Europa, ja sogar die Welt. So wird jedenfalls gesagt und behauptet.

Wollen wir uns dieser Drohkulisse beugen? Ohne zu prüfen, was das für die deutschen Interessen bedeutet? Verschieben wir damit nicht nur die Probleme in die - immer ungewisse - Zukunft? Weil es bequemer ist?


Die EU-Südschiene


Griechenland wird als Sonderfall dargestellt. Das stimmt aber nicht. Das griechische Beispiel dürfte schnell Schule machen, wenn das Land in der Eurozone bleibt. Portugal, Spanien und Italien (vermutlich auch Irland) werden ähnliche Sonderbehandlungen verlangen. Mit welchen Argumenten sollte ihnen verweigert werden, was Griechenland zugestanden wurde? Man versteht, warum die Südländer oder Peripheriestaaten Griechenland unbedingt in der Eurozone halten wollen. Sie gehen davon aus, dass die Eurogruppe dann auch bei ihnen einknicken wird (und muss). Das Erpressungspotential Italiens und Spaniens ist schon aufgrund ihres wirtschaftlichen Gewichts mindestens so groß wie das der Griechen.


Italien


Italien spielt eine Schlüsselrolle. Einerseits könnte es sich aufgrund seines ökonomischen Potentials selbst „retten“ (der durchschnittliche Italiener ist wohlhabender als der Deutsche), andererseits ist es seit Beginn der Europäischen Einigung gewohnt, Hilfsgelder aus dem Norden abzuziehen und tut dies mit großem Erfolg. Das Finanzinstrument der Eurobonds wurde von Italienern erdacht und wird von Italien massiv propagiert. Es passt ideal auf die italienischen Bedürfnisse. Es ist schön, wenn man Dritte für eigene Verpflichtungen zahlen und haften lassen kann. Es wäre auch schön, wenn man so weiter machen könnte wie bisher. Allerdings hat die Finanzkrise der Schuldenpolitik Grenzen gesetzt. Also Eurobonds…

Solidarität:
Zur Begründung der Eurobonds (unter verschiedener Etikettierung) hört man neben vielfältigen finanzpolitischen Argumenten, die hier nicht erörtert werden können, die aber alle auf eine Haftung der soliden Länder wie Deutschland hinauslaufen, am meisten das Schlagwort Solidarität. Die Geberländer, die Deutschen, Niederländer und Finnen sollen sich endlich solidarisch zeigen und z. B. dafür sorgen, dass die Südländer nicht höhere Zinsen für ihre Schulden zahlen müssen wie die im Norden. Solidarität ist in der Tat ein gewichtiges Argument, nur sollte man es vielleicht weniger häufig im Munde führen wie unsere italienischen Freunde. Sie haben es Deutschland gegenüber in der Geschichte bis in die jüngste Zeit fast immer an Solidarität fehlen lassen und sind uns bei passender oder unpassender Gelegenheit stets in die Hacken getreten oder in den Rücken gefallen. Man denke nur an die italienischen Manöver beim deutschen Vorstoß für einen Ständigen Sitz im Sicherheitsrat. In Sachen Solidarität hätten die Spanier und wohl auch die Portugiesen weit bessere Karten als Italien.

Pfänder:
Leichter wäre die Haftung, wenn Deutschland wie Finnland Pfänder fordern würde. Das Institut der Verpfändung macht den Schuldnern klar, um was es geht. Wie wäre es etwa mit Südtirol als Pfand, das dann nach der – als absolut sicher zugesagten – Rückzahlung der Schuld ausgelöst und wieder voll an Italien zurückfallen würde; denn niemand zweifelt an dem Willen und der Fähigkeit Italiens, seine Schuld zu begleichen. Deutschland könnte etwa gemeinsam mit Österreich eine Lösung finden. Man könnte auch an Triest denken, das sich Italien nach dem Zweiten Weltkrieg in einer Art Raubzug gesichert hat. Das sind natürlich nur Gedankenspiele, aber man muss den Partnern klar machen, um was es geht, wenn mit großer Geste nach unserer Geldbörse gegriffen wird. In der 1970er Jahren war übrigens der damalige Bundesfinanzmister Hans Matthöfer (SPD) nicht zimperlich, als es darum ging, einen italienischen Kredit durch Pfänder abzusichern. Italien ist danach nie mehr auf die Idee gekommen, Deutschland um solche Kredite anzugehen. Aber vielleicht klappt es ja über die Eurobonds…?

Solidarität und die viel beschworene europäische „Schicksalsgemeinschaft“ sind hehre Prinzipien und Ziele, denen man nicht widersprechen will. Sie müssen aber konkret und fair ausgehandelt und ausgefüllt werden. Daran hapert es.


Die Finanzierung des europäischen Mezzogiorno


In Wahrheit geht es in der gegenwärtigen Krise noch um etwas ganz anderes. Die sich zuspitzende Krise soll nach den Plänen kluger und gewiefter Südeuropäer genutzt werden, um die Lasten der Subventionierung des Südens dauerhaft auf die Länder im Norden, besonders Deutschland "abzudrücken". Italien weiss, wovon die Rede ist. Seit der Gründung des italienischen Nationalstaats vor rund 150 Jahren füttert Norditalien den Süden, den sog. Mezzogiorno durch – ohne Erfolg wie man weiß. Periodisch flammen in Italien Diskussionen auf, die Subventionen für den Mezzogiorno endlich als nutzlos zu streichen. In Norditalien gab und gibt es deswegen Sezessionsbestrebungen. Noch besser wäre, wenn künftig andere die Bürde Mezzogiorno übernehmen – in erweiterter Form und für sehr lange Zeit.

Darauf läuft es hinaus, das ist die „Reform“, die den Südländern vorschwebt. Solidarität, Wachstum, Schicksalsbeschwörungen oder ähnliches sind nur schmückendes Beiwerk, hinter dem sich langfristige, massive Interessen verbergen, die man nun im Schatten der Schuldenkrise durchzusetzen hofft. Kommissionspräsident Barroso spielt dieses Spiel besonders gekonnt. Es wird versucht, Deutschland, die Niederlande, die Finnen usw. dermaßen unter Druck zu setzen, dass sie letztlich nachgeben und der Transferunion - mit welchen Finanzinstrumenten auch immer - zustimmen. Der Euro wäre damit noch nicht gerettet; denn seine Rettung hängt entscheidend von glaubwürdigen Reformen in den einzelnen Schuldenländern ab.


Die angelsächsische Finanzindustrie


Unterstützung erfahren die europäischen Südländer von der angelsächsisch dominierten Finanzindustrie. Diese liebt bekanntlich den Euro nicht, denn er beschneidet die äußerst lukrative, zwischen der Wall Street und der City von London geteilte Rolle des Dollar als Weltleitwährung. Die Einführung des Euro haben sie mit überwiegend ablehnender Skepsis verfolgt, die gegenwärtige Krise wird fast täglich mit apokalyptischen Prophezeiungen des baldigen und unausweichlichen Euro-Zusammenbruchs kommentiert. Aber Wall Street und City haben ein Interesse an der Verzögerung und Verschleppung der Krise, bis die Risiken auf die Staaten und die Steuerzahler abgewälzt sind. In der Zwischenzeit sollen potentielle Garantiegeber des Euro zur Kasse gebeten werden, bis auch dort nichts mehr zu holen ist. Im Blick haben sie Deutschland, von dem sie hoffen, dass es die Haftung für die Anleihen der europäischen Wackelkandidaten übernimmt und dann auch zahlt – bis auch dieses Fass leer ist oder auch diese Wiese abgegrast.

Natürlich wäre der kurzfristige und unkontrollierte Zusammenbruch des Eurosystems auch für die angelsächsische Finanzwelt ein unkalkulierbares Risiko mit möglicherweise katastrophalen Folgen; deshalb der Aufschub. Was danach kommt, ist bei der kurzfristigen Denkweise der Banker in London oder New York gleichgültig. Hauptsache, sie haben ihren Profit gemacht. Wenn der Euro dabei auf der Strecke bleibt, weil Deutschland ihn auch nicht mehr stützen kann, umso besser: ein Konkurrent weniger. Nicht von Ungefähr kommt der Verdacht, dass die US-Ratingagenturen auf dieses Ziel hinarbeiten. Wie sich Deutschland bei einem Euro-Zusammenbruch aus der Verstrickung der übernommenen Haftungen befreien könnte, ist nicht Sache der angelsächsischen Finanzindustrie. Die daraus folgende Schwäche Deutschlands wäre zumindest für einen Teil der englischen politischen Klasse ein willkommener Nebeneffekt.

Um Verschwörungstheorien vorzubeugen: Die Wall Street und die City von London handeln rational im Sinne ihrer Interessen. Es bildet sich trotz unterschiedlicher Interessen der einzelnen Marktteilnehmer eine Art Konsens in der angelsächsischen Finanzindustrie heraus, der (bisher) in der Welt Leitfunktion hat. Die Interessen sind allerdings kurzfristig – ein Verantwortungsbewusstsein auf längere Sicht gibt es nicht: jeder schaut auf seinen kurzfristigen Profit. Wohin das führt, hat die Welt in der Finanzkrise von 2007 ff. erfahren müssen, desgleichen in der Weltwirtschaftskrise von 1929 ff. (Was soll man davon halten, wenn die Folgen des Platzens einer Finanzblase mit dem "Aufblasen" einer noch größeren Finanzblase bekämpft werden soll?) Sehr vertrauenserweckend ist das nicht, auch wenn mit großem medialen und „wissenschaftlichem“ Aufwand die jeweiligen interessengeleiteten Rezepte oder Problemlösungen in der Welt orchestriert und (bisher) durchgesetzt werden.

Allmählich gewinnt man den Eindruck, dass den Deutschen für den Fall eines Zusammenbruchs der Eurozone zumindest publizistisch die Schuld, der "Schwarze Peter", zugeschoben werden soll. Sollte Deutschland deshalb nicht vorsorglich die Goldbestände der Bundesbank, die in New York und London gelagert sind, nach Deutschland zurückholen? Wer weiß, auf was findige Hedgefonds oder andere Interessengruppen alles kommen? Mit „Schadensersatzklagen“ sind sie bekanntlich schnell bei der Hand. Sind wir sicher, dass die deutschen Goldbestände bis zur Klärung der Rechtsfragen nicht in den USA oder Großbritannien sequestriert werden? Auch vor angelsächsischen Gerichten gilt der Satz: Vor Gericht und auf hoher See sind wir in Gottes Hand.


Europäische Zentralbank (EZB)


Das 1. Hilfspaket für Griechenland und die EZB-Beschlüsse vom 9. Mai 2010 waren bereits ein massiver Bruch des Maastricht-Vertrages von 1992, da die „No Bailout“- Klausel (§ 125) außer Kraft gesetzt wurde. Die Verträge waren das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben waren. Welche Gründe haben die Bundesregierung bewogen, diesem Bruch zuzustimmen? Das ist nicht ganz klar. Einige Begleitumstände sind zumindest auffällig. Bundesfinanzminister Schäuble wurde auf dem Weg zur entscheidenden Sitzung in Brüssel krank und musste kurzfristig das Krankenhaus aufsuchen (wofür ihm kein Vorwurf gemacht werden kann). Kanzlerin Merkel flog derweil nach Moskau, um sich bei den Feierlichkeiten des Jahrestags der deutschen Kapitulation (8./9. Mai 1945) für die „Befreiung“ zu bedanken. Frankreichs Präsident Sarkozy und Italiens Ministerpräsident Berlusconi sagten dagegen die geplante Reise nach Moskau ab und eilten nach Brüssel, wo sich Sarkozy nach allgemeiner Wahrnehmung den damaligen französischen Präsidenten der EZB, Claude Trichet, kräftig zur Brust nahm.

Die Ergebnisse dieses Wochenendes sind bekannt: sie bestehen u. a. in einer schweren Verletzung deutscher Interessen. Die EZB begann eine neue Politik, u. a. mit dem Ankauf von Staatsanleihen europäischer Krisenstaaten. Die Bundesregierung hat den schleichenden Mandatswechsel als „alternativlos“ dargestellt. Axel Weber, der deutsche Vertreter in der EZB, nahm daraufhin sofort seinen Abschied, Jürgen Stark folgte ihm später nach. Seither muss Deutschland in Form von Krediten, Garantien, Target 2 – Forderungen an die EZB immer höhere Risiken eingehen. Denn bei dem einmaligen Vertragsbruch blieb es natürlich nicht. Rettungspakete, wie der EFSF und nun der ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) wurden geschnürt, um der Schuldenkrise Herr zu werden. Ein Ende ist nicht abzusehen. Man wird den Eindruck nicht los, dass Deutschland an jenem Wochenende im Mai 2010 massiv über den Tisch gezogen wurde.

Die Machtverhältnisse in der EZB haben sich seit Mai 2010 radikal verändert. Statt dem deutschen Kandidaten Axel Weber wurde der Italiener Mario Draghi Chef der EZB. Der Einfluss der Bundesbank ist erheblich geschrumpft, die Nehmerländer geben im EZB-Rat den Ton an, Jens Weidmann, der deutsche Vertreter ist isoliert. Frankreich und die Nehmerländer wollen aus der EZB endgültig eine Institution machen, die der Politik – anders als die unabhängige Bundesbank - untergeordnet ist. Das muss wissen, wer für Deutschland über Personalien und Befugnisse der EZB verhandelt. Der Umgang von Kanzlerin Merkel mit Axel Weber lässt allerdings wenig Gutes ahnen.

Es gibt massive Bestrebungen, den Einfluss der Bundesbank auf die EZB gänzlich auszuschalten. Die Bundesbank ist in Frankreich lange als ein Instrument der Bevormundung der eigenen Wirtschafts- und Finanzpolitik wahrgenommen worden. Mitterrand hat nicht ohne Grund die Einführung des Euro zur Voraussetzung der Wiedervereinigung gemacht. Der deutsche Einfluss sollte – positiv formuliert - über den Euro „eingebunden“ und – negativ formuliert – „ausgeschaltet“ werden. Die institutionelle und personelle Umgestaltung der EZB soll dieses Ziel vollenden.

Nostalgie bringt nichts, die Entscheidung ist Anfang Mai 2010 gefallen. Die Bundesbank hat ihre gute Zeit gehabt und heute stellen sich andere, neue Probleme. In den USA und in Großbritannien sind die Notenbanken auch nicht völlig von der Politik unabhängig. Voraussetzung einer Änderung der Statuten der EZB wäre allerdings die angemessene Wahrung deutscher Interessen. Die wäre bei den heutigen Machtverhältnissen in der EZB und der Fortsetzung ihrer Politik nicht gegeben. Angesagt ist ein erbitterter Kampf um jeden Millimeter Einfluss. Wer glaubt, Deutschland dürfte die Wahrung seiner Interessen dieser jetzigen EZB vertrauensvoll in die Hände legen, irrt gewaltig. Heraus käme letztlich die unbegrenzte Haftung Deutschlands für die Schulden Dritter und deren unverantwortliche Schuldenpolitik, auf die wir keinerlei Einfluss haben.

(Wie das gespielt wird, sieht man z. B. am Gebrauch der deutschen Sprache in den EU-Institutionen. Obwohl die deutsche Sprachgruppe in der EU bei weitem die größste ist und verschiedene Bundesregierungen immer wieder versucht haben, die Lage zu verbessern, fristet das Deutsche in den EU-Institutionen ein Kümmerdasein und wird konsequent ausgebremst. Ähnliches gilt für den Anteil deutscher Diplomaten am neuen Europäischen Auswärtigen Dienst, wo Deutschland als größter EU-Mitgliedstaat nur zwei Drittel der französischen Diplomaten stellt und noch hinter Italien und Spanien auf dem vierten Platz rangiert. Die Beispiele ließen sich vermehren.)

Die Ankündigung von EZB-Chef Mario Draghi von Anfang August 2012, unbegrenzt Staatsanleihen aufzukaufen und der EZB damit unbegrenzte Feuerkraft zu verleihen, wirft ein Schlaglicht auf die Zukunft. Die Bundesbank hat auf die Gefahren einer Inflation und die Nähe zur "verbotenen" Staatsfinanzierung hingewiesen - vergeblich. Die "kreative" Geldpolitik hat in der EZB Einzug gehalten. Draghi war bekanntlich mehrere Jahre ein Mann von "Goldman Sachs", der Investmentbank, die Griechenland geholfen hat, mit gefälschten Zahlen in die Eurozone aufgenommen zu werden, und das herannahende Desaster jahrelang zu verschleiern. "Goldman Sachs" war die Bank, die zumindest bis zur Finanzkrise besonders erfolgreich mit "windigen" Finanzprodukten gehandelt hat; sie verkaufte sie gutgläubigen Kunden und wettete gleichzeitig dagegen. (Kein Wunder, dass die Personalie "Draghi" viele Leute nervös macht.)


Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM)


Eine Überrumpelung Deutschlands, wie im Mai 2010, darf es nicht mehr geben. Ansonsten dürfte sich ein anschwellender und breiter deutscher Meinungsstrom aus Ressentiments durch die künftige Europadiskussion ziehen. Das gilt vor allem für Entscheidungen, die unmittelbar finanzielle Interessen betreffen. Ein Beispiel für den kompletten Mangel an Beteiligung der BürgerInnen ist der ESM, der Europäische Stabilitätsmechanismus, der weitestgehende Befugnisse auf die europäische Ebene verlagert. Die deutsche Öffentlichkeit war auch nicht annähernd aufgeklärt. Selbst dem Bundestag wurde eine angemessene Information vorenthalten. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat am 19. Juni 2012 einer Klage von Abgeordneten stattgegeben, die gegen die unzureichende Informationspolitik der Bundesregierung geklagt haben.

Die Diskussion um den sogenannten „Fiskalpakt“ ist eher ein Nebengleis. Gegenüber den EU-Verträgen enthält der Fiskalpakt nichts wesentlich Neues und viele Fachleute halten ihn für entbehrlich. Die einschneidenden, umstürzenden Entscheidungen stehen im ESM. Dass sich die deutsche Diskussion auf den Fiskalpakt verschoben hat, geht auf den wahrscheinlich bewusst von der Bundesregierung herbeigeführten Mangel an Informationen zum ESM zurück. Die deutsche Öffentlichkeit und auch der Bundestag können nicht diskutieren, was sie nicht kennen – und auch nicht kennen sollen.

Eine Volksabstimmung wäre bei der enormen Tragweite des ESM der geeignete und richtige Entscheidungsweg gewesen. Das Grundgesetz wird durch den ESM so tief und weitgehend transformiert, dass ein Volksentscheid eigentlich unabweisbar gewesen wäre. Auch Bundesfinanzminister Schäuble hat angesichts der Tragweite der anstehenden Entscheidungen im Sommer 2012 die Idee einer Volksabstimmung ins Spiel gebracht. Nun hat das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil zum ESM vom 12. September 2012 einige für Deutschland verbindliche Interpretationen und Klarstellungen gemacht. Das ist gut, aber es muss abgewartet werden, ob diese hinreichend sind, um die die deutschen Interessen wirksam zu schützen.

Die Suche nach einem neuen Gleichgewicht zwischen den Partnern der Eurozone steht auf der Tagesordnung. Das ganze System muss neu austariert werden. Die Regierungen, die Notenbanker, die Wirtschaftseliten und Spitzenpolitiker neigen dazu, die Entscheidungen unter sich auszuhandeln. Die politische Klasse Deutschlands steht hinter den auf diese Weise ausgehandelten Entscheidungen und akzeptiert – bisher – überwiegend das Ergebnis der Euro-Gipfel und anderer Entscheidungsgremien als „alternativlos“. Das kann so nicht bleiben, wenn das geeinte Europa ein erfolgreiches Projekt bleiben soll. Die BürgerInnen müssen beteiligt und das demokratische Defizit überwunden werden.


Frankreich


In Frankreich, bei unserem wichtigsten europäischen Partner ist die Lage eine andere. Dort gibt es Volksabstimmungen zu europapolitischen Fragen. Der erste Lissabon-Vertrag oder EU-Verfassungsvertrag wurde 2005 vom Volk abgelehnt. Die Sozialistische Partei Frankreichs, die heute den Präsidenten und die Mehrheit im Parlament stellt, war seinerzeit gespalten. Der heutige Außenminister, Laurent Fabius, war 2005 z. B. ein Befürworter des Nein. Die Bereitschaft der Franzosen, weitere Souveränitätsrechte an EU abzugeben, scheint seither eher noch gesunken zu sein, wenn man die Ergebnisse der letzten Wahlen analysiert. Das auch in Frankreich so empfundene "Gewürge" um die Euro-Rettung hat die Europabegeisterung sicher nicht beflügelt. Der neue Präsident, Francois Hollande, wird Schwierigkeiten haben, wenn er die Franzosen zur Abgabe von mehr Souveränitätsrechten und eine europäische Fiskalunion bewegen will. Eine Volksabstimmung stünde sofort auf der Tagesordnung.

In Griechenland, Portugal, Spanien und Italien haben sich die französische Wirtschaft und die französischen Banken stark engagiert und sind deshalb heute dort besonders exponiert oder Gefährdungen ausgesetzt. Es ist ein ganzes Bündel von Interessen, das Frankreich mit der europäischen Südschiene verbindet. Hollande glaubt, dass er seinen Einfluss in Europa steigern kann, wenn er sich zum Sprecher der Südländer macht und deren Interessen fördert. In Frankreich kommt außerdem gut an, dass er der gefühlten Dominanz Deutschlands entgegentritt.

Offen bleibt vorerst, wieweit Hollande bereit ist, sich in Konflikt mit Kanzlerin Frau Merkel und deutschen Interessen zu begeben. Da bleibt noch Raum, um die gegenseitigen deutsch-französischen Interessen auszutarieren. Frankreichs Interessen sind nicht in allen Punkten mit denen der Südländer identisch. Frankreich ist selber Geberland und zwar in fast gleicher Höhe wie Deutschland. Frankreichs Interesse ist zwar, Deutschland so viel wie möglich abzuringen, aber nicht zum eigenen Schaden. Schaden von den eigenen Banken abzuwenden: Ja. Die eigene Kreditwürdigkeit wegen der Haftung für die Südländer zu verringern oder zu verlieren: Nein. Souveränitätsrechte an die EU abzugeben: Nein. Mithilfe der Italiener und anderer Südländer in der EU und vor allem in der EZB wichtige Posten zu besetzen, um den deutschen Einfluss zu schmälern: Ja. Präsident Hollande wird Kompromisse machen müssen.


Deutschland


Deutschland hat ein existentielles Interesse an der EU aus vielerlei Gründen. Das wichtigste ist die Einbindung deutscher Macht in einem Verbund des permanenten Interessenausgleichs mit unseren Nachbarn. Die tendenziell hegemoniale Stellung Deutschlands als stärkstes Land in Europa hat uns in den Konflikt von 1914 geführt, der letztlich mit der Katastrophe von 1945 endete. Die Einbindung in der EU hat uns die Wiedervereinigung von 1989/1990 ermöglicht, die keineswegs selbstverständlich war – man denke nur an die Widerstände von M. Thatcher und die widerwillige, konditionierte Zustimmung von Mitterrand (vgl. Guntram von Schenck, Kontinuität deutscher außenpolitischer Interessen im 20. Jahrhundert?, in: www.guntram-von-schenck.de).

Dafür war und ist Deutschland bereit, einen Preis in Gestalt der Aufgabe von Souveränitätsrechten zu zahlen. Auch in finanzieller Hinsicht haben wir die Solidarität nie verweigert, sondern (überwiegend) geduldig und langmütig die Last des größten Beitragszahlers getragen. Heute ist Deutschland in der EU wirtschaftlich und demographisch wiederum tendenziell hegemonial bzw. wird von seinen EU-Partnern so empfunden. Das löst Widerstände aus, die aufgefangen und positiv kanalisiert werden müssen. Ein besseres Instrument als die EU kann man für diesen Zweck gar nicht erfinden.

Hinzu kommt, dass Deutschland vom EU-Binnenmarkt profitiert, dass die Deutschen im europäischen Raum fast unbeschränkte Freiheit genießen und im Frieden und (überwiegend) in Freundschaft mit ihren Nachbarn leben. Das war nicht immer so. Die deutsche politische Klasse weiß, dass Deutschland im Zuge der Globalisierung und der Neuordnung der Welt nach dem Aufstieg der Schwellenländer wie China oder Indien allein gestellt nicht effektiv die deutschen Interessen in der Welt vertreten kann, sondern auf enge Kooperation und Bündelung der Kräfte mit den Nachbarn angewiesen ist.

Die deutschen Eliten setzen deshalb auf ein Zusammenwachsen der europäischen Völker, die sich in freier Entscheidung für ein Zusammengehen entschieden haben und gemeinsam die Zukunft gestalten wollen. Dafür zahlen wir – wie gesagt - einen Preis in Gestalt der Abgabe von Hoheitsrechten und mit finanziellen Transferleistungen, die bereits jetzt einen erheblichen Umfang haben. In den Verträgen von Maastricht (1992) und Lissabon (2009) haben wir dazu mit unseren europäischen Partnern einen fair ausgehandelten und überwiegend als fair empfundenen Modus Vivendi gefunden.



Deutschland / Frankreich


Deutschland fordert für weitergehende finanzielle Zugeständnisse ein „Mehr an Europa“. Die Partner sollen Hoheitsrechte abgeben und eine effektive Aufsicht, Kontrolle und ggfs. Beschneidung ihrer Haushaltssouveränität, also eine Fiskalunion akzeptieren. Erst danach kann nach deutscher Auffassung eine gemeinschaftliche europäische Haftung, sprich die Haftung der soliden Geberländer für die Schuldenstaaten vereinbart werden. Die Geberländer müssen zumindest mitentscheiden können, wofür sie die Haftung übernehmen sollen. Ein Ausgleich auf der Basis: mehr deutsches Geld für mehr Hoheitsrechte an Brüssel dürfte für Frankreich allerdings sehr schwierig, wenn nicht unmöglich sein.

Die Entwicklung geht in Frankreich eher in die entgegengesetzte Richtung. Die extreme Rechte (Marine le Pen) und die extreme Linke (Mélenchon), beide extrem europaskeptisch und gegen den Euro, haben in Frankreich bei den Präsidentschaftswahlen zusammengezählt rund ein Drittel der Stimmen erhalten. Selbst wenn die Sozialisten mit Francois Hollande als Präsident mit großer Machtfülle die Mehrheit im Parlament haben, muss Hollande die Stimmung respektieren. Das gilt umso mehr als es in seiner eigenen Partei gewichtige euroskeptische Stimmen gibt. Präsident Hollande wird bei der Abgabe von Hoheitsrechten an Europa den Deutschen keine oder kaum Zugeständnisse machen können.

Sollte es zwischen Frankreich mit der neuen Regierung und Deutschland zu einer offenen, öffentlich ausgetragenen Machtprobe kommen, wie es im Präsidentschaftswahlkampf manchmal den Anschein hatte, sieht es für die Zukunft des Euro düster aus. Die Nervosität und Irritation sind in Europa bereits so groß, dass der Schaden irreparabel sein könnte.


Was ist zu tun?


Bevor weitere Schritte zur europäischen Einigung getan und deutsche Hoheitsrechte an Brüssel abgegeben werden, musss genau geprüft werden, welche möglichen Folgen sich daran knüpfen. Die deutschen BürgerInnen müssen angemessen an dieser Prüfung beteiligt werden. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit; es ist eine Schande, dass das überhaupt gefordert werden muss. Es kann sein, dass die Deutschen bei Abwägung aller Vor- und Nachteile beispielsweise einer europäischen Banken- und Transferunion und einer Vergemeinschaftung der Schulden zustimmen. Es kann aber nicht sein, dass diese umwälzenden Entscheidungen durch die Hintertür herbeigeführt werden.


Wer angesichts des auf nationaler und internationaler Ebene aufgebauten Drucks vorschnell zustimmt, könnte eine Art finanzielles Versailles unterschreiben. Wir haben aber anders als 1919 keinen Krieg verloren und sollten uns weder "einschüchtern" noch "weichklopfen" lassen. Die Möglichkeit einer Ausplünderung des deutschen Volksvermögens und der unzumutbaren Belastung unserer Kinder und Enkel steht im Raum. 1919 haben wir nachgeben müssen. Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt, dass diese "erzwungene" deutsche Nachgiebigkeit weder Deutschland noch Europa gut bekommen ist.


Volksabstimmung


Das letzte Wort hat der Souverän, das Staatsvolk. Eine Volksabstimmung ist der richtige Weg. Sie muss stattfinden, bevor die Weichen in eine Transfer-, Haftungs-, Banken- und Schuldenunion gestellt oder Hintertüren dazu geöffnet werden. Dann müssen die Eliten die deutschen BürgerInnen von der Notwendigkeit und den Vorteilen eines solchen politischen Quantensprungs der Europäischen Einigung überzeugen - oder eben nicht. In dieser Schicksalsfrage darf es keinen schleichenden Übergang geben!



Guntram von Schenck, Juni 2012, aktualisiert Oktober 2012


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